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Propaganda im Kontext: YouTube-Videos über Bandera, Lukašenka und Naval'nyj

Hosting-Organisationen
Uni Innsbruck - Institut für Slawistik
Verantwortliche Personen
Gernot Howanitz
Beginn
Ende

Nach wie vor sind die Digital Humanities (DH) sehr textlastig; erst seit kurzem halten hier Methoden der Computer Vision Einzug. Diese Projekte beschränken sich in der Regel auf die Nutzung vortrainierter Netze, für viele kulturwissenschaftliche Forschungsprojekte wäre aber ein selbst durchgeführtes, auf die Fragestellung abgestimmtes Training notwendig. Ein solches Training neuronaler Netze ist jedoch keineswegs trivial, sondern erfordert eine Menge Vorarbeit, Wissen um grundlegende Trainingsstrategien und Erfahrung im Tweaken der Parameter. Das vorliegende Projekt setzt sich zum Ziel, diese Vorarbeit zu leisten und ein Best-Practice-Beispiel zu veröffentlichen, das es auch anderen Forscherinnen und Forschern ermöglicht, große Bild- und Videokorpora in einem Methodenmix sowohl qualitativer als auch quantitativer Verfahren zu erfassen.

Als anschauliches Beispiel soll dafür die Videoplattform YouTube dienen, die sich immer mehr zum Leitmedium des russischsprachigen Teils des Internets entwickelt. 2020 nutzten 82% der 14–64-jährigen russischen Internetuserinnen und -user diese Plattform täglich, es ist damit das erfolgreichste soziale Medium in Russland [1]. Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung für die slawistischen Kultur- und Medienwissenschaften, Analysetools für diese Plattform zu entwickeln.

Untersucht werden drei Testfälle, nämlich der ukrainische Nationalist Stepan Bandera (1909-1959), der im Ukrainekonflikt (ab 2013) von beiden Seiten instrumentalisiert wurde, sowie zwei aktuelle Beispiele, nämlich der prominente russische Oppositionelle Aleksej Naval‘nyj und der belarusische Präsident Aljaksandr Lukašėnka, dessen Wiederwahl im Herbst 2020 erfolgte. In beiden Fällen gibt es zahlreiche YouTube-Videos, die millionenfach angesehen wurden und mithalfen, den Protest auch auf die Straße zu tragen: In Belarus wird seit August 2020 protestiert, in Russland seit Ende Jänner 2021. In diesen Videos spielen auch Symbole eine große Rolle, so verwenden die Protestierenden in Belarus nicht die offizielle Flagge und das offizielle Wappen, die beide aus der Sowjetzeit stammen, sondern jene der ersten unabhängigen belarusischen Republik von 1918.

Für diese Fallbeispiele werden mit eigens trainierten Deep-Learning-Netzen (Resnet101) YouTube-Videos automatisch nach 45 vordefinierten nationalistischen Symbolen und 40 Politikerinnen und Politikern durchsucht, was Rückschlüsse auf den jeweiligen propagandistischen Kontext eines Videos erlaubt und das Symbolinventar osteuropäischer propagandistischer Diskurse im Netz offenlegt. Diese Fragestellung macht das Projekt nicht nur für die slawistische Medienwissenschaft, sondern auch für die Osteuropäische Geschichte und die Politikwissenschaft interessant; die Methodik wiederum setzt wichtige Impulse, um die DH für Medien abseits des Texts zu öffnen.

Erste trainierte Netze und Testskripte sind bereits auf Github verfügbar und dienen als Ausgangspunkt für die weiteren Arbeiten: https://www.github.com/ghowa/bandera-demo. Unser Korpus umfasst mittlerweile knapp 800 Videos zu Bandera, jeweils 500 zu Belarus und Naval‘nyj sowie alle täglichen russischen Hauptabendnachrichten Vremja seit 12. 7. 2019. Auch hier sind es über 500 Videos, zusätzlich hat das Medienarchiv des Instituts für Slawistik der Universität Innsbruck alle Vremja-Sendungen des Jahres 2014 archiviert. Darüber hinaus wurden seit September tägliche Momentaufnahmen der YouTube-Suchresultate zu Belarus-Suchbegriffen sowie seit Jänner zusätzlich zu Naval‘nyj und Putin angefertigt. Diese Snapshots ermöglichen erste Einblicke in die internen Mechanismen der YouTube-Suche, die sich ansonsten als ‚black box‘ präsentiert.

Die erstellten Netze für Symbol- und Gesichtserkennung werden nach erfolgreicher Evaluation öffentlich und gemeinfrei zur Verfügung gestellt, ebenso das System zur Batch-Verarbeitung und Analyse eines großen Videokorpus.

Fußnoten: [1] https://datareportal.com/reports/digital-2020-russian-federation [letzter Zugriff 23. 2. 2021].

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