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HYBRIDISIERUNG VON ZWEI SEITEN: UKRAINISCH-RUSSISCHES UND RUSSISCH-UKRAINISCHES CODE MIXING IN DER SÜDUKRAINE

Hosting-Organisationen
Uni Klagenfurt - Institut für Slawistik
Verantwortliche Personen
ao. Univ.-Prof. i.R. Dr. Tilmann Reuther
Beginn
Ende

Hybridisierung von zwei Seiten: ukrainisch-russisches und russisch-ukrainisches Code mixing im Kontext der (sozio)linguistischen Situation in der südlichen Ukraine entlang der Küste des Schwarzen Meers

Die Ukraine ist ein mehrsprachiges Land. Dominant ist die bilinguale Konstellation Ukrainisch-Russisch. Ukrainisch ist stark im Westen, Russisch im Osten und Süden. Die zentrale Ukraine stellt einen Übergangsraum dar. Die beiden strukturell eng verwandten Sprachen funktionieren als Gebersprachen für einen gemischten Kode, den „Suržyk“. Der spezifische Punkt beim Suržyk ist, dass er – wie man annimmt – in zwei Varianten vorliegt.

Der „prototypische Suržyk“ stammt aus der Zeit der politischen und sozialen Dominanz des Russischen in der Ukraine. Seit den 1860-er Jahren der Zarenzeit und ab den 1930-ern der Sowjetzeit passten sich die Menschen an die russischsprachige Umgebung an. Die Entwicklung des „alten“ Suržyk ähnelt dem sogenannten „dialect levelling“. Bei weiterhin gegebener Variabilität ist eine gewisse Stabilisierung dieses Kodes zu beobachten, denn Erwachsene begannen untereinander und über mehrere Generationen mit ihren Kindern in informellen Kommunikationssituationen im „Alt-Suržyk“ zu sprechen. Die zweite Variante des gemischten Kodes, hier „Neu-Suržyk“ genannt, ist jüngeren Ursprungs. Sie entwickelte sich bei Sprechern, die sich hauptsächlich des Russischen bedienten, bevor sie sich aufgrund der Sprachpolitik ab 1990 zumindest partiell dem Ukrainischen zuwandten. Der Neu-Suržyk hat somit eine russische Basis und ist– sehr wahrscheinlich neben dem Alt-Suržyk – im Süden der Ukraine zu erwarten (und im derzeit für systematische Forschung nicht zugänglichen Osten).

Die zentrale Forschungsfrage mit innovativer kontaktlinguistischer Dimension lautet: Ist eine klare Differenzierung zwischen zwei gemischten Kodes auf der Basis derselben beiden eng verwandten Gebersprachen möglich? Oder besteht ein gradueller Übergang zwischen Sprechergruppen mit unterschiedlichem soziodemographischem Hintergrund?

Die Hypothesen unseres Projekts lauten:

  • Grammatisch kann zwischen dem Alt-Suržyk und dem Neu-Suržyk vor allem auf quantitativer Basis unterschieden werden, mit Cluster-Unterschieden zwischen Sprechern (z.B. bei der Bandbreite von Flexionsendungen).
  • Lexikalisch liegen klare Unterschiede vor – überwiegend ukrainisch vs. überwiegend russisch geprägte Lexik.
  • Hinsichtlich der Lautung sind der Alt-Suržyk und der Neu-Suržyk strukturell unterschiedlich.
  • Der Neu-Suržyk ist variabler als der Alt-Suržyk.

Die Alternative zu diesen Hypothesen ist, dass keine zwei unterschiedlichen Suržyks erkennbar werden, sondern ein Kontinuum zwischen einem stark ukrainischen und einem stark russischen Suržyk, verbunden mit soziodemographischen Unterschieden auf verschiedenen Ebenen.

Der methodische Zugang des Projekts besteht in einer innovativen korpuslinguistischen Beschreibung, kombiniert mit analytischen Methoden der quantitativen Variationslinguistik, die mit soziodemographischen Daten korreliert werden. Zusätzlich werden Tiefeninterviews zu individuellen „Sprachbiographien“ durchgeführt und qualitativ ausgewertet, zum Abgleich quantitativer und qualitativer Befunde.

Tilmann Reuther (AAU Klagenfurt, FWF Lead) und Gerd Hentschel (Universität Oldenburg, DFG Partner), D-A-CH-Joint Project